Die Koproduktionen mit der Kula Compagnie „Underground Birds“ (Spielzeit 22/23) und „Die Stunde da wir nichts voneinander wussten“ (Spielzeit 19/20) werden nochmal gespielt.
Underground Birds
25.05.2024, 20Uhr, Underground Birds, Akademie der Künste, Berlin, Deutschland
A play developed by the KULA Compagnie and the women artists of the SIMORGH THEATER, Herat. Co-production with Vereinigte Bühnen Bozen (IT), Hålogaland Teater Tromsø (NO), Simorgh Theater, Herat (AF) and the KULA Compagnie.
In Italian, German, Farsi, English, French, Hebrew, Norwegian and Arabic
The surtitles are available in English, German, Italian or Norwegian.
“The thrill of flying high in the blue sky eventually kills me. My legs have been chained underground for a long time, robbing me of my ability to fly. No one can imprison, limit, or take away the dream of sunlight shining on my wings when I sleep. How wonderful it is to fly, to be free, and to enjoy freedom. With each passing day, the sweetness of free life and freedom fades under my tongue. Make a solution, oh you who can, that this spirit, who was full of the spirit to live and vivacious, is taking its last breaths.”
Tahera Rezaie
Die Stunde da wir nichts voneinander wussten
15.06.2023, 19.30 Uhr, Die Stunde da wir nichts voneinander wussten, Aranya International Theater Festival – China
Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von YouTube. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.
Die KULA Compagnie erkundet mit “Die Stunde da wir nichts voneinander wussten” einen öffentlichen Raum, in dem noch nicht, noch nicht wieder oder nicht mehr gesprochen wird. 12 Schauspieler:innen aus sechs Ländern durchmessen einen Platz im zeitlichen Zwischenraum, in dem sich eine europäische Agora neu konstituiert.
Meine erste Notiz: „Eine Frau kehrt zurück an den Ort eines Verbrechens.“ Am Ende dieser ersten Skizze (November 2021) hatte ich vermerkt: „Ein Gefüge von Wissenden und Verbergenden“.
Rückblende: Die erste Begegnung mit dem See ist ein Film ohne Ton. Ich sitze im Zug, fahre zu einer Theaterprobe. Die Kopfhörer habe ich vergessen. Ich möchte niemanden stören. Also schaue ich mir die Dokumentation über „Das versunkene Dorf“ mit Untertitel an. Ich versinke in den Aufnahmen der Seeoberfläche. Und in den Gesichtern von Menschen, die aus ihrem Leben berichten. Ich höre sie nicht. Aber untersuche ihre Mimik. Alles wird mit zwei unterschiedlichen Augen erzählt: einem lachenden und einem weinenden.
Die Rückfahrt: Mir geht der See nicht mehr aus dem Kopf. Ich skizziere ein zu langes Drama mit zu vielen Figuren an zu vielen Schauplätzen. Keine „Opfererzählung“! Keine Dokumentation des bereits Dokumentierten. Ich verliebe mich in die Geschichte eines Ingenieurs, den es nie gab. Finster schillernd, faustisch verloren, nur zu retten durch eine Lichtgestalt, seinen Assistenten. Der Staudamm soll keine Gefahr sein, sondern eine Vision, die Glück verspricht! Zugleich zögere ich. Was wird aus den realen Biografien? Wie der tatsächlichen Geschichte gerecht werden?
Autor mit Turm, März 2023
Ich rufe Rudi Frey an. Ich sage ihm, mein PROJEKT RESCHENSEE habe sich verändert. Ich hatte ursprünglich vor, „sicher nichts Historisches“ zu schreiben. Nun sitze ich ausschließlich am Historischen. Ich schreibe über die 1920er bis 1960er Jahre in Südtirol. „Eine elendslange Parabel! Es geht um Fortschrittsfanatismus und Krieg.“ Wir verabreden uns in Wien, reden darüber, dass Südtirol ein „sonnenbeschienenes“ Land sei. Dass es wirklich viele Sonnentage gibt. Dass die Schatten nicht verschwinden. Und dass Vieles über Südtirol gesagt ist, aber meistens in Stücken mit Bauernstuben. Ich verlege meine Szenen nach draußen in die Natur.
Sommer 2022, Nationalbibliothek Wien: Ich lese über den Stauseebau. Über politische Eingriffe in ein regionales Gefüge. Über Industriezonen und Bergdörfer. Macht und Ohnmacht. Faschismus, Nationalsozialismus, Widerstand, Opportunismus, „Option“, Flüchtende, Umgesiedelte, Gebliebene, „Außig’wasserte“, Tote, Vergessene. Über Hoffnung und Technik. Wohlstand und Profit. Vision und Wasserkraft. Autonomie und Lügen. Ich merke: Südtirol verstehe ich viel zu wenig.
Ich recherchiere: Es gibt 20 „Südtiroler Plätze“ in Österreich. 2 in Deutschland. Ich verstehe erstmals die Zusammenhänge besser.
Ich lerne, manche sagen „Terroranschlag“, andere „Freiheitskampf“, manche sagen „Europapolitik“, andere „Heimatverrat“. Ich lese von Duce-Verehrung, skurriler Geschichtsvergessenheit, nostalgischer Brauchtumspflege, Denkmaldiskurs und extremem Aktivismus. Ich verwerfe mein Konzept. Das ist alles zu viel!
Wieder eine Zugfahrt: Ich streame alle vier Teile des Filmepos „Verkaufte Heimat“ (Regie: Karin Brandauer/Gernot Friedel, Buch: Felix Mitterer), online abrufbar auf suedtiroler-freiheit.com. Ich versinke in den Leben der Figuren. Fiebere mit. Weine. Lache. Blicke demütig in den Abspann. Und beschließe: Ich bin der falsche Autor für diese Geschichte. Es wurde bereits alles erzählt. Nicht nur in Stücken mit Bauernstuben.
Herbst 2022, am Laptop erneut die Website suedtiroler-freiheit.com: Ich versuche zu verstehen, welches Südtirol hier gemeint ist. Welche Freiheit. Ich frage mich, warum diese Website gerade diese „Mitterer-Geschichte“ als Stream anbietet. Wer bedient sich welcher Geschichte?
Ich überarbeite mein Konzept. Suche nach dem Heute in dem Stauseedrama. Nach Strukturen des Erinnerns. Aus 9 Figuren werden 18. Alle laufen nun mit Schatten rum.
März 2023: Ich fahre zum See, mit einem Mietauto von Innsbruck über den Reschenpass. Aber der See ist nicht da. Das Wasser wurde abgelassen. Ich starre auf den Grund.
In meinem Hotelzimmer in der Hotelmappe die Geschichte des Sees, auf zwei Seiten zusammengefasst. Andere Orte werben mit Schönheit und Idyll. Dieser Ort mit einem geschichtlichen Zeigefinger.
Ich laufe den See ohne See entlang. Ich stelle mir vor, wie früher die Wiesen und Äcker verliefen, wie Kühe weideten, Kinder spielten, ein Flusslauf sichtbar war, Hotels direkt am See lagen, ohne trostloser Umfahrungsstraße, Stege zu Badeplätzen führten und auf dem damaligen Gewässer Ausflugsschiffe die Sommertouristen von Ufer zu Ufer brachten. Der heutige Anblick ist eine monströse Grube. Ich sehe eine Frau mit Hund durch das mondartige Gelände staksen.
Am Turm: Er ist von gefrorenem Wasser umgeben, da hier das Stauseebecken extra vertieft wurde. Er sieht einsam aus. Normalerweise ragt die Kirchturmspitze bizarr aus dem Smaragdblau der eindrucksvoll weiten Seeoberfläche (laut Internetfotos). Vor mir weint der Turm. Dann bleiben einige Autos stehen. Fotos werden gemacht. Schnell setzt der Turm sein Tourismus-Lächeln auf.
Nachts träume ich, in den Turm zu klettern und einen Schatz zu finden. Oder ein Skelett. Oder Nazi-Runen. Oder Widerstands-Kassiber. Oder ein geheimes Paradies vorzufinden, in dem die letzten Pflanzen und Tiere überleben.
In einem Gasthaus esse ich ein „g’schmackiges“ Wildgulasch. Die Speisekarte erzählt erneut die Geschichte des Sees samt Unrecht, „das über die Dörfer kam“.
Im Frühstücksraum meines Hotels zwei deutsche Touristen. Sie fragen, wo meine Ski sind? Ich sage, ich schreibe ein Stück. Sie wussten bislang nichts über die Geschichte des Sees. Sie hoffen, „dass die Pisten gut beschneit sind“. Von herunten sieht alles karg aus. Wieder ein Klimaerwärmungswinter. Was ist der Zukunftsstausee?
Ein Mitarbeiter des Heimatmuseum Obervinschgau führt uns (Elisabeth Thaler, Rudi Frey und mich) versiert durch die Ausstellung. Er kennt Menschen, die „das Drama“ noch persönlich durchleben mussten. Viel Verbitterung! Aber auch Ablehnung. „Die einen klammern sich an die alten Geschichten, die anderen können sie nicht mehr hören.“ Er erklärt, warum das Wasser an diesem Tag weg ist. Ein Leck im Mantel des Druckstollens! „Die Firma“ macht wieder Reparaturen. Im Reden hallt Vergangenheit nach. „Sie geben sich heute viel Mühe, die Firma, aber…“ Mich interessiert das Aber.
Wir erfahren, dass seit Marco Balzanos Bestseller „Ich bleibe hier“ mehr Menschen das Museum besuchen. Das Thema werde nun „auch in Italien“ wahrgenommen. Ich frage, warum er „auch in Italien“ sagt, das hier sei ja alles Italien. Er antwortet rasch: „Ich für meinen Teil bin Südtiroler“. Ich sehe das weinende Auge. Und das lachende. Dazwischen flackern Verwundung und Zorn.
Vor meiner Abreise, ich und die Staumauer: Gewaltig. Gewaltiger als sonst, da ja das Wasser fehlt. Ich sehe Arbeiterinnen und Arbeitern in gelben Westen und mit gelben Helmen bei den Reparaturen im Heute zu. Später parke ich das Auto in Innsbruck. Blicke auf die Alpenkette. Hinter diesen Bergen doch ein anderes Land. Im Zug nach Hause betrachte ich die Fotos meiner Reise. Den See ohne See. Fast nur Ansichten von Furchen und Rissen am Grund.
Nadja Tröster arbeitet freiberuflich als Theaterpädagogin in Südtirol. Im Gespräch mit den Dramaturginnen Friederike Wrobel und Elisabeth Thaler schenkt sie einen Einblick in ihre Arbeit.
Elisabeth Thaler: Wie würdest du deine Arbeit kurz beschreiben?
Nadja Tröster: Theaterpädagogik ist ein weites und bewegtes Feld. Man könnte sagen: Wir vermitteln Theater vor allem im nichtprofessionellen Bereich. Je nach Schwerpunkt arbeitet man mit Erwachsenen, mit Freizeitgruppen oder in sozialen Einrichtungen, meistens aber mit Kindern und Jugendlichen. Es geht dabei immer um die Anregung zu einer künstlerisch-theatralen Auseinandersetzung: mit sozialen Themen, mit Literatur, mit sich selbst und grob gesagt: mit der Welt, die uns umgibt. Wir unterrichten Schauspiel, entwickeln eigene Stücke mit Gruppen, trainieren Improvisation oder führen Regie. Aktuell bin ich mit verschiedenen Projekten im Kinder- und Jugendbereich unterwegs, vor allem in den Schulen. Diese Arbeit ist sehr vielseitig. Von kurzen Workshops, über Themenwochen, bis hin zu Jahresarbeiten mit einer Klasse, die ein Theaterstück einstudiert: wir Theaterpädagog:innen eröffnen Räume und begleiten mit unseren ästhetischen, theatralen Methoden.
Friederike Wrobel: Was sind deine Aufgabenbereiche an den Vereinigten Bühnen Bozen?
An den Vereinigten Bühnen Bozen biete ich vor- oder nachbereitend zu ausgewählten Kinder- und Jugendstücken Workshops an Schulen an. Es geht darin um eine spielerische Auseinandersetzung mit dem spezifischen Thema, den Figuren oder dem zentralen Konflikt des Stücks. So können die Schüler:innen gut vorbereitet in die Vorstellung kommen. Wenn es um eine Nachbereitung geht, können sie ihr Verständnis vertiefen und Antworten auf offene Fragen erhalten. Unserem jungen Publikum, das vielleicht noch nicht sehr viel Theatererfahrung gesammelt hat, hilft das, die Besonderheiten des Theaters, die Sprache, eine Inszenierung oder Ästhetik zu verstehen und mit besonderen Aspekten weiter praktisch zu arbeiten.
Ein Herzensprojekt ist für mich auch die Zusammenarbeit mit der Mittelschule Josef von Aufschnaiter, die ja bekanntlich einen Theaterzweig hat. Als Partnerschule der Vereinigten Bühnen Bozen bekommen alle Klassenstufen in jedem Schuljahr besondere Workshops, Theater- und Probenbesuche. Eine weitere, schöne Aufgabe ist die Betreuung des Klassenzimmerstücks, das ich während des ganzen Schuljahres auf Tournee durch die Schulen begleite und ein kleines Ergänzungsprogramm dazu gestalte.
Foto: Francesco Ippolito
Elisabeth Thaler: „Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Wortes Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.“ (Friedrich Schiller) Wie kann man junge Menschen für das Theater und das Spiel begeistern?
Kinder, eigentlich alle Menschen, bringen von Natur aus das Interesse am Spielen mit. Da setzen wir Theaterpädagog:innen an. Unser Aufgabenfeld umfasst ja auch das Spielen im weitesten Sinn. Wir beginnen unsere Stunden meistens mit den sogenannten „openern“, das sind Spiele zum Ankommen und Alltagablegen. Dann wärmen wir auf, wir sorgen für eine gute Dynamik, wir holen die Gruppe in die Konzentration, öffnen Räume für Wahrnehmung, wir helfen beim „Teambuilding“. Das alles noch bevor es in das klassische Theaterspielen geht. Ich erlebe es in meiner Arbeit täglich, wie Gruppen in voller Freude, konzentriert und vertieft zusammen spielen, zusammen lachen, das ist ein Selbstläufer. Im Spiel taucht man ja in ganz andere Ebenen ein, man darf sich ausprobieren, man darf lachen, man darf scheitern. Man lernt sich selbst und die anderen kennen. Das bedeutet natürlich nicht, dass es nicht auch harte Arbeit ist, sich eine Rolle oder ein Stück zu erarbeiten. Die Menschen mit denen wir arbeiten sind schließlich keine professionellen Schauspieler:innen. Theaterarbeit kann sehr anstrengend sein. Am Ende steht aber immer eine Belohnung. Der Applaus ist einfach ein Moment der Begeisterung, der alle Anstrengung vergessen lässt.
Elisabeth Thaler: Wie sieht so ein spielerischer Workshop z.B. beim Klassenzimmerstück „Titus“ aus?
„Titus“ ist ein Monolog, den ein Schauspieler im Klassenzimmer spielt. Ich begleite den Schauspieler, bin bei der Vorstellung auch anwesend und übernehme direkt nach dem Schlussapplaus. Meist beginne ich mit einem kleinen Warm up, um die Jugendlichen kurz in Aktion zu bringen. So können sie loslassen und vom Kopf mehr in den Körper kommen. Danach biete ich eine Übung an, die konkret mit dem Stück zu tun hat, lasse Szenen nachspielen, gehe mit ihnen zum Beispiel der Frage nach, was ein Held ist. Für Titus habe ich mehrere Übungen im Gepäck und entscheide spontan, welche ich in die Klasse gebe, je nachdem wie ich sie während der Vorstellung erlebt habe und was zu ihr passen könnte. Das Stück bietet sehr viele Möglichkeiten für eine Nachbereitung, denn es ist voll mit Geschichten und Momenten, die die Jugendlichen kennen und beschäftigen. Der Protagonist Titus ist ein tragischer Held, er träumt sich in eine Welt von Geschichten und versucht, sich mit viel Phantasie über Wasser zu halten.
Am Ende findet immer noch ein Gespräch mit dem Schauspieler René Dalla Costa statt. Unsere Erfahrung ist aktuell, dass die Zeit immer zu kurz ist, weil sehr viel Interesse und Redebedarf bei den Schüler:innen besteht.
Friederike Wrobel: Beim Stück „Ente, Tod und Tulpe” für Kinder ab 6 Jahren bietest du einen Workshop in den Klassen an. Wie näherst du dich mit den Kindern dem Thema „Tod”?
Das Stück hat Ende November Premiere und die Proben laufen auf Hochtouren, auch die Vorbereitungen für den Workshop in den Grundschulen. Zunächst arbeite ich nahe am Stück, denn ich möchte die Kinder gut auf den Vorstellungsbesuch vorbereiten. Im Stück kommt Tod die Ente besuchen, die irgendwie schon immer gespürt hat, dass ihr jemand nachschleicht. Diese Situation des Nachschleichens und der ersten Begegnung ist ein wunderbarer Ausgangspunkt, um ins Spielen zu kommen. Wir werden uns also die beiden Figuren Ente und Tod herholen und die Kinder spielerisch herausfinden lassen, wer sie sind oder sein könnten. Wie bewegen sie sich, wie sprechen sie, was sagen sie überhaupt und wie könnte eine Begegnung aussehen? Ich nehme die Kinder mit auf eine kleine Raumlauf-Phantasiereise und so erleben sie Szenen des Stücks, die sie auch selbst gestalten dürfen. Bei Tod verweilen wir dann sicher etwas länger, denn da erwarte ich viele unterschiedliche Bilder und Ideen. Der Workshop ist also eine Annäherung an das Thema Tod.
Friederike Wrobel: Wir haben bei „Titus“ und „Ente, Tod und Tulpe“ ernste Themen auf der Bühne. Was ist die Chance an die Theaterpädagogik, sich diesen ernsthaften Themen anzunehmen und mit den Kindern zu bearbeiten?
Die große Kraft liegt in der spielerischen Auseinandersetzung. Es geht erstmal nicht darum, alles zu verstehen, oder den kompletten Überblick zu haben. Die Theaterpädagogik verlangt nicht, dass Kinder einen Test bestehen müssen. Sie werden in der Arbeit natürlich angeleitet und unterstützt, bekommen Hilfestellung, aber sie werden nicht bewertet. Es geht vielmehr darum, in ein Thema hineinzuspüren, auch körperlich, mit Bewegung und Sprache, mit Spielen und Übungen, mit Standbildern, im Schreiben und Präsentieren von Texten, in der Erarbeitung von Figuren und Rollen. Und es gibt so viele Methoden. Für mich ist das, wie vorher schon gesagt, immer wie Forschen. Jede:r hat andere Fragen und kommt zu einem eigenen Ergebnis, das in einem wertfreien Rahmen präsentiert wird. Da kann man voneinander lernen. Und in Bezug auf die ernsten Themen: jede:r geht nur soweit, wie er oder sie gehen kann. Es geht eben darum, eine Erfahrung zu machen, etwas in Bewegung zu bringen.
Elisabeth Thaler: Welche Erfahrungen und Momente bereichern dich persönlich besonders, wenn du mit jungen Menschen arbeitest?
Es ist wunderschön, wenn ich spüre, dass die Kinder mit Freude dabei sind. Ich staune immer wieder, wie sie über sich hinauswachsen. Ich bekomme oft von Lehrer:innen die Rückmeldung, dass sie ihre Klasse oder einzelne Schüler:innen von einer ganz anderen Seite erlebt haben. Manchmal sind dann plötzlich die Underdogs die Helden der Klasse, die sich wunderbar kreativ ausdrücken können, sich zeigen und alle überraschen. Das sind für mich besondere Momente. Ich liebe auch den Moment, wenn es bei einer Gruppe „klick“ macht und alle ganz da sind, mit voller Konzentration, Ernsthaftigkeit und dem Willen, gemeinsam etwas zu schaffen. Und natürlich immer wieder der Moment, in dem der Vorhang aufgeht und es kein Zurück mehr gibt.
Elisabeth Thaler: Muss man als Theaterpädagogin im Innersten ein Kind bleiben?
Unbedingt! Es trifft vielleicht nicht auf alle meine Kolleg:innen zu, aber ich denke, die meisten von uns haben auch schon in der Kindheit und Jugend begonnen, Theater zu spielen. Das sind Erfahrungen, die man nicht mehr verliert, ein großer Schatz. Also definitiv JA, für diesen Beruf braucht man selbst Spielfreude und viel Neugierde, Freude am ästhetischen Schaffen. Wir setzen uns mit jedem Projekt und jedem Stück neu auseinander. Das Schöne dabei ist, immer wieder neue Realitäten und neue Welten zu entdecken, sich darauf einzulassen und zu überlegen, wie man diese kreativ und ästhetisch aufarbeiten kann, um noch tiefer einzutauchen. Und den Menschen, mit denen man arbeitet, dieses große Universum „Theater“ zu vermitteln.
Warum das Gehen für das Denken unverzichtbar ist und Wandern oft anstrengender, als man denkt: Der Philosoph und Bergwanderführer Jens Badura im Gespräch. Das Interview von Christina Geyer und Mara Simperler ist im Bergwelten Magazin (August/ September 2018) erschienen.
(…)
Was macht es also mit dem Denken, wenn der moderne Mensch zu einem Großteil in einem Büro sitzt?
Man verfällt in eine Routine – die französische Wortherkunft ist „Wegerfahrung“. Der moderne Mensch gerät in Gefahr, seine Routinen nicht mehr auf die Probe stellen zu müssen, weil alle Wege vorgegeben sind. Ich denke, dass alle Formen der Monotonie dazu führen, dass das Denken in Stereotypen landet.
Wechseln wir das Thema: Sie lehren an der Zürcher Hochschule der Künste zu „Ästhetischer Theoriepraxis“. Was ist für Sie ein schöner Berg?
Wenn man über Ästhetik in den Bergen spricht, muss man eine Unterscheidung zwischen Schönheit und Erhabenheit treffen. Das wohlige Schaudern, das mit dem Erhabenen verbunden ist, wird den Bergen häufiger zugewiesen. Mit meinem Hausberg, dem Untersberg, habe ich ein geradezu spürbares Bindungsverhältnis – da spielt eine andere Qualität als Schönheit eine Rolle.
Nämlich?
Es ist nicht seine markante Form, die mich begeistert. Ich bin jedes Mal aufs Neue berührt durch das bloße Dasein dieses Berges, sicher auch geprägt durch starke Erinnerungen und die vielen vertrauten Plätze. Wobei ich es als philosophische Herausforderung empfinde, Begriffe wie „Kraftort“ aus den Fängen esoterischer Verschwurbelung herauszuholen. Schönheit ist eigentlich nur dann eine Kategorie, wenn ich den Berg bereits als Abbild denke. Wenn ich dem Berg gerecht werden will, muss ich ihn anders wahrnehmen als nur als Foto.
Diese Abbilder der Berge in Medien kritisieren Sie. Warum?
In Magazinen und Broschüren sieht man meist Klischeealpen: Leute, die klettern und Abenteuer erleben; Menschen, die wandern und genießen; oder Menschen, die in traditionellen Kleidern auf der Alm stehen. Wenn wir Berge ernst nehmen wollen, müssen wir uns mit all ihren Dimensionen auseinandersetzen: Berge sind genauso interessant zu besteigen, wie sie Hindernisse für den Verkehr sind. Berge können eindrucksvolle Felsformationen bilden, aber auch in wüster Art und Weise auseinanderbrechen. Sie können wirtliche, aber auch extrem unwirtliche Orte sein. Die Frage ist, welche Seiten aus diesem Spektrum ich zeige und welche nicht.
Wozu führen die klischeehaften Bilder?
Man weckt Erwartungshaltungen, die oft enttäuscht werden. Häufig ist man nicht allein im Gebirge, dann ist da Sauwetter, es ist viel anstrengender, als man dachte, und macht gar nicht so viel Spaß. Und es kommt zu teils fatalen Fehleinschätzungen: Bei der Bergrettung steigen die Einsätze wegen Blockierung – also Berggeher:innen, die sich überschätzt haben und nicht mehr vor- und zurückkönnen.
Dr. phil. habil. Jens Badura stand im Rahmen eines Zoommeeting beratend der Produktion zur Verfügung. Er ist Gründer und Geschäftsführer des berg_kulturbüros in Berchtesgaden. Der habilitierte Philosoph, diplomierte Kulturmanager und Publizist lehrt an der Zürcher Hochschule der Künste und ist Senior Fellow am Institut Kulturen der Alpen der Universität Luzern in Altorf. Als Bergführer gehört er zum Team der Wanderakademie „ready to go“ der Bergschule Alpine Welten.
Anfang der Zwanzigerjahre des letzten Jahrhunderts, als die darstellende Kunst im Theater in Technik und Architektur ihren Zenit erreichte, strebte man die Idee des Totaltheaters an, die der Bauhausleiter Walter Gropius gemeinsam mit Erwin Piscator entwickelte. Das Totaltheater forderte, ganz wie die Architektur die „Zerschlagung der Kiste”. Die aufkommende Technik der Filmprojektion war darüber hinaus dazu gedacht, den Raum aus allen Richtungen „unter Film zu setzen“. Leider konnte das Totaltheater damals aus Kostengründen nicht realisiert werden, aber die Technik und die fortschrittlichen Ideen, die sich um dieses Projekt rankten, kann man heute immer wieder in modernen Musik- und Schauspieltheaterinszenierungen wiederfinden. Aber wenn eine Raumbühne erst einmal in einem normalen Theater im Zuschauerraum aufgebaut ist, dann kann das für den Theateralltag auch eine Belastung darstellen. Denn ein Theater, das jeden Tag ein anderes Stück auf dem Spielplan hat, wird durch eine Raumbühne blockiert. Die Technik kann so einen Bühnenaufbau im Zuschauerraum nicht an einem Tag abbauen und ein anderes Theaterstück auf der Bühne aufbauen. Das geht nur mit den Bühnenbildern, die herkömmlich für die bestehende Theaterbühne gebaut und geplant wurden; dafür sind unsere Theater konzipiert mit ihren Seiten- und Hinterbühnen, auf denen mehrere Bühnenbilder gelagert werden können. „Der Tod in Venedig“ von Thomas Mann, mit dem die Vereinigten Bühnen Bozen die Spielzeit 2023/2024 eröffnen, wurde vom ukrainischen Bühnen- Kostümbildner und freien Künstler Ivan Bazak gemeinsam mit Regisseur Alexander Charim als Raumbühne konzipiert. Da in unserem Theater ein Theaterstück am Stück gespielt wird, also auch keine Umbauten während dieser Zeit nötig sind, können wir uns so eine aufwendige Bühnenkonstruktion mit all ihren Vorzügen leisten. Bazak hat sich als Sujet für die Bühne den genuinen Zuschauerraum unseres Stadttheaters vorgenommen, den er skurril und surreal verzerrt darin widerspiegelt, so wie aus der Perspektive eines Fiebertraums, den die Hauptfigur Gustav von Aschenbach am Beginn der Novelle durchlebt. Als Publikum werden Sie sich in diesem Setting auf der eigentlichen Theaterbühne wiederfinden und sich der Raumbühne im Zuschauerraum gegenübersehen. Das Haydn Orchester von Bozen und Trient wird nicht versteckt im Orchestergraben sitzen und musizieren, sondern gemeinsam mit den Darsteller:innen dieses Totaltheater bespielen und beschallen. Die Musiker:innen werden sich dabei auch in diesem Raum bewegen als Fernorchester aus dem Theaterfoyer zu hören sein und schließlich im Zuschauerraum auftreten. Zudem hat diese besondere Bühnenform einen ganz klaren und schönen Vorteil im Gegensatz zu unseren herkömmlichen Bühnensituationen mit ihren Logen und Rängen: Sie ist so demokratisch, wie die Griechen einst in ihren Amphitheatern das Theater erfunden haben. Diesen Vorteil hat auch der Kassler Staatstheaterintendant Florian Lutz für sich wiederentdeckt, als er Intendant der Oper in Halle war, um der politischen Situation in den neuen Bundesländern im Theater eine neue demokratische Basis zu bieten, die es uns Zuschauer:innen ermöglicht, wieder auf einer Ebene ins Gespräch kommen zu können. So erzeugt das Totaltheater auf der einen Seite, dass das Gesamtkunstwerk der Bühnenkunst sichtbar wird und dass wir Zuschauer:innen Teil des Ganzen sind und im Streben nach Überwältigung gleichzeitig demokratisch-kritische Reflexion, Jammer und Schauder bis hin zur Reinigung erfahren können.