Nadja Tröster arbeitet freiberuflich als Theaterpädagogin in Südtirol. Im Gespräch mit den Dramaturginnen Friederike Wrobel und Elisabeth Thaler schenkt sie einen Einblick in ihre Arbeit.
Elisabeth Thaler: Wie würdest du deine Arbeit kurz beschreiben?
Nadja Tröster: Theaterpädagogik ist ein weites und bewegtes Feld. Man könnte sagen: Wir vermitteln Theater vor allem im nichtprofessionellen Bereich. Je nach Schwerpunkt arbeitet man mit Erwachsenen, mit Freizeitgruppen oder in sozialen Einrichtungen, meistens aber mit Kindern und Jugendlichen. Es geht dabei immer um die Anregung zu einer künstlerisch-theatralen Auseinandersetzung: mit sozialen Themen, mit Literatur, mit sich selbst und grob gesagt: mit der Welt, die uns umgibt. Wir unterrichten Schauspiel, entwickeln eigene Stücke mit Gruppen, trainieren Improvisation oder führen Regie. Aktuell bin ich mit verschiedenen Projekten im Kinder- und Jugendbereich unterwegs, vor allem in den Schulen. Diese Arbeit ist sehr vielseitig. Von kurzen Workshops, über Themenwochen, bis hin zu Jahresarbeiten mit einer Klasse, die ein Theaterstück einstudiert: wir Theaterpädagog:innen eröffnen Räume und begleiten mit unseren ästhetischen, theatralen Methoden.
Friederike Wrobel: Was sind deine Aufgabenbereiche an den Vereinigten Bühnen Bozen?
An den Vereinigten Bühnen Bozen biete ich vor- oder nachbereitend zu ausgewählten Kinder- und Jugendstücken Workshops an Schulen an. Es geht darin um eine spielerische Auseinandersetzung mit dem spezifischen Thema, den Figuren oder dem zentralen Konflikt des Stücks. So können die Schüler:innen gut vorbereitet in die Vorstellung kommen. Wenn es um eine Nachbereitung geht, können sie ihr Verständnis vertiefen und Antworten auf offene Fragen erhalten. Unserem jungen Publikum, das vielleicht noch nicht sehr viel Theatererfahrung gesammelt hat, hilft das, die Besonderheiten des Theaters, die Sprache, eine Inszenierung oder Ästhetik zu verstehen und mit besonderen Aspekten weiter praktisch zu arbeiten.
Ein Herzensprojekt ist für mich auch die Zusammenarbeit mit der Mittelschule Josef von Aufschnaiter, die ja bekanntlich einen Theaterzweig hat. Als Partnerschule der Vereinigten Bühnen Bozen bekommen alle Klassenstufen in jedem Schuljahr besondere Workshops, Theater- und Probenbesuche. Eine weitere, schöne Aufgabe ist die Betreuung des Klassenzimmerstücks, das ich während des ganzen Schuljahres auf Tournee durch die Schulen begleite und ein kleines Ergänzungsprogramm dazu gestalte.
Foto: Francesco Ippolito
Elisabeth Thaler: „Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Wortes Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.“ (Friedrich Schiller) Wie kann man junge Menschen für das Theater und das Spiel begeistern?
Kinder, eigentlich alle Menschen, bringen von Natur aus das Interesse am Spielen mit. Da setzen wir Theaterpädagog:innen an. Unser Aufgabenfeld umfasst ja auch das Spielen im weitesten Sinn. Wir beginnen unsere Stunden meistens mit den sogenannten „openern“, das sind Spiele zum Ankommen und Alltagablegen. Dann wärmen wir auf, wir sorgen für eine gute Dynamik, wir holen die Gruppe in die Konzentration, öffnen Räume für Wahrnehmung, wir helfen beim „Teambuilding“. Das alles noch bevor es in das klassische Theaterspielen geht. Ich erlebe es in meiner Arbeit täglich, wie Gruppen in voller Freude, konzentriert und vertieft zusammen spielen, zusammen lachen, das ist ein Selbstläufer. Im Spiel taucht man ja in ganz andere Ebenen ein, man darf sich ausprobieren, man darf lachen, man darf scheitern. Man lernt sich selbst und die anderen kennen. Das bedeutet natürlich nicht, dass es nicht auch harte Arbeit ist, sich eine Rolle oder ein Stück zu erarbeiten. Die Menschen mit denen wir arbeiten sind schließlich keine professionellen Schauspieler:innen. Theaterarbeit kann sehr anstrengend sein. Am Ende steht aber immer eine Belohnung. Der Applaus ist einfach ein Moment der Begeisterung, der alle Anstrengung vergessen lässt.
Elisabeth Thaler: Wie sieht so ein spielerischer Workshop z.B. beim Klassenzimmerstück „Titus“ aus?
„Titus“ ist ein Monolog, den ein Schauspieler im Klassenzimmer spielt. Ich begleite den Schauspieler, bin bei der Vorstellung auch anwesend und übernehme direkt nach dem Schlussapplaus. Meist beginne ich mit einem kleinen Warm up, um die Jugendlichen kurz in Aktion zu bringen. So können sie loslassen und vom Kopf mehr in den Körper kommen. Danach biete ich eine Übung an, die konkret mit dem Stück zu tun hat, lasse Szenen nachspielen, gehe mit ihnen zum Beispiel der Frage nach, was ein Held ist. Für Titus habe ich mehrere Übungen im Gepäck und entscheide spontan, welche ich in die Klasse gebe, je nachdem wie ich sie während der Vorstellung erlebt habe und was zu ihr passen könnte. Das Stück bietet sehr viele Möglichkeiten für eine Nachbereitung, denn es ist voll mit Geschichten und Momenten, die die Jugendlichen kennen und beschäftigen. Der Protagonist Titus ist ein tragischer Held, er träumt sich in eine Welt von Geschichten und versucht, sich mit viel Phantasie über Wasser zu halten.
Am Ende findet immer noch ein Gespräch mit dem Schauspieler René Dalla Costa statt. Unsere Erfahrung ist aktuell, dass die Zeit immer zu kurz ist, weil sehr viel Interesse und Redebedarf bei den Schüler:innen besteht.
Friederike Wrobel: Beim Stück „Ente, Tod und Tulpe” für Kinder ab 6 Jahren bietest du einen Workshop in den Klassen an. Wie näherst du dich mit den Kindern dem Thema „Tod”?
Das Stück hat Ende November Premiere und die Proben laufen auf Hochtouren, auch die Vorbereitungen für den Workshop in den Grundschulen. Zunächst arbeite ich nahe am Stück, denn ich möchte die Kinder gut auf den Vorstellungsbesuch vorbereiten. Im Stück kommt Tod die Ente besuchen, die irgendwie schon immer gespürt hat, dass ihr jemand nachschleicht. Diese Situation des Nachschleichens und der ersten Begegnung ist ein wunderbarer Ausgangspunkt, um ins Spielen zu kommen. Wir werden uns also die beiden Figuren Ente und Tod herholen und die Kinder spielerisch herausfinden lassen, wer sie sind oder sein könnten. Wie bewegen sie sich, wie sprechen sie, was sagen sie überhaupt und wie könnte eine Begegnung aussehen? Ich nehme die Kinder mit auf eine kleine Raumlauf-Phantasiereise und so erleben sie Szenen des Stücks, die sie auch selbst gestalten dürfen. Bei Tod verweilen wir dann sicher etwas länger, denn da erwarte ich viele unterschiedliche Bilder und Ideen. Der Workshop ist also eine Annäherung an das Thema Tod.
Friederike Wrobel: Wir haben bei „Titus“ und „Ente, Tod und Tulpe“ ernste Themen auf der Bühne. Was ist die Chance an die Theaterpädagogik, sich diesen ernsthaften Themen anzunehmen und mit den Kindern zu bearbeiten?
Die große Kraft liegt in der spielerischen Auseinandersetzung. Es geht erstmal nicht darum, alles zu verstehen, oder den kompletten Überblick zu haben. Die Theaterpädagogik verlangt nicht, dass Kinder einen Test bestehen müssen. Sie werden in der Arbeit natürlich angeleitet und unterstützt, bekommen Hilfestellung, aber sie werden nicht bewertet. Es geht vielmehr darum, in ein Thema hineinzuspüren, auch körperlich, mit Bewegung und Sprache, mit Spielen und Übungen, mit Standbildern, im Schreiben und Präsentieren von Texten, in der Erarbeitung von Figuren und Rollen. Und es gibt so viele Methoden. Für mich ist das, wie vorher schon gesagt, immer wie Forschen. Jede:r hat andere Fragen und kommt zu einem eigenen Ergebnis, das in einem wertfreien Rahmen präsentiert wird. Da kann man voneinander lernen. Und in Bezug auf die ernsten Themen: jede:r geht nur soweit, wie er oder sie gehen kann. Es geht eben darum, eine Erfahrung zu machen, etwas in Bewegung zu bringen.
Elisabeth Thaler: Welche Erfahrungen und Momente bereichern dich persönlich besonders, wenn du mit jungen Menschen arbeitest?
Es ist wunderschön, wenn ich spüre, dass die Kinder mit Freude dabei sind. Ich staune immer wieder, wie sie über sich hinauswachsen. Ich bekomme oft von Lehrer:innen die Rückmeldung, dass sie ihre Klasse oder einzelne Schüler:innen von einer ganz anderen Seite erlebt haben. Manchmal sind dann plötzlich die Underdogs die Helden der Klasse, die sich wunderbar kreativ ausdrücken können, sich zeigen und alle überraschen. Das sind für mich besondere Momente. Ich liebe auch den Moment, wenn es bei einer Gruppe „klick“ macht und alle ganz da sind, mit voller Konzentration, Ernsthaftigkeit und dem Willen, gemeinsam etwas zu schaffen. Und natürlich immer wieder der Moment, in dem der Vorhang aufgeht und es kein Zurück mehr gibt.
Elisabeth Thaler: Muss man als Theaterpädagogin im Innersten ein Kind bleiben?
Unbedingt! Es trifft vielleicht nicht auf alle meine Kolleg:innen zu, aber ich denke, die meisten von uns haben auch schon in der Kindheit und Jugend begonnen, Theater zu spielen. Das sind Erfahrungen, die man nicht mehr verliert, ein großer Schatz. Also definitiv JA, für diesen Beruf braucht man selbst Spielfreude und viel Neugierde, Freude am ästhetischen Schaffen. Wir setzen uns mit jedem Projekt und jedem Stück neu auseinander. Das Schöne dabei ist, immer wieder neue Realitäten und neue Welten zu entdecken, sich darauf einzulassen und zu überlegen, wie man diese kreativ und ästhetisch aufarbeiten kann, um noch tiefer einzutauchen. Und den Menschen, mit denen man arbeitet, dieses große Universum „Theater“ zu vermitteln.