Im Gespräch mit Regisseurin Verena Holztrattner und Bühnen- und Kostümbildnerin Martine Mairhofer zur Arbeit am Klassenzimmerstück „Dschabber“ von Marcus Youssef
Emma Mulser: „Dschabber“ erzählt die Geschichte von Fatima und Jonas, zwei jungen Menschen, die sich trotz Verschiedenheiten näherkommen, versuchen einander zu verstehen und zu vertrauen. Sie stoßen dabei auf Hürden, wie Vorurteile und Missverständnisse, die sie auch in ihrer Suche nach der eigenen Identität herausfordern. Denn sich einander zu öffnen, bedeutet auch, sich verwundbar zu machen.
Verena, deine Aufgabe als Regisseurin ist es, Geschichten zu erzählen und eine Form dafür zu finden. Welche besonderen Möglichkeiten bietet dir das Format des Klassenzimmerstücks für diese Geschichte?
Verena Holztrattner: Eine besondere Qualität des Klassenzimmerformats ist, dass man sehr nah am Publikum dran ist. Es gibt keinen klar abgegrenzten Bühnenraum, keinen abgedunkelten Saal, keine beeindruckende Theatermaschinerie. Spielende und Zuschauer:innen begegnen einander im Klassenzimmer wirklich auf Augenhöhe, ganz unvermittelt und direkt. Für meine Arbeit bedeutet das ganz konkret: es lässt sich nichts verstecken, es lässt sich auch nicht theaterzaubern, aber dafür lässt es sich um so besser gemeinsam nachdenken und erzählen. Wir möchten die intime Aufführungssituation nutzen und das Publikum immer wieder liebevoll in die Geschichte miteinbinden, als Kompliz:innen, als Spiegel für die Figuren oder auch ganz einfach als Einspringer:innen für Figuren, die wir nicht besetzen konnten.
Die Schule ist ein zentraler Haupthandlungsort im Stück. Fatima und Jonas lernen sich genau dort kennen, wo später auch die Vorstellungen stattfinden werden. Dieser geteilte Raum bietet großes Identifikationspotenzial.
EM: Martine, du hast dich der Aufgabe gestellt, für „Dschabber“ aus einem Raum viele zu machen. Die Figuren begegnen einander im Geschichtsunterricht, ziehen sich in ihre Zimmer zurück oder treffen sich im digitalen Raum via Insta-Call.
Du hast dafür ein Bühnenobjekt geschaffen, das an eine zeltförmige Gerüstkonstruktion erinnert. Klingt erstmal simpel. Was muss ein Bühnenbild deiner Meinung nach alles „können“, um vor allem in fremden Räumen, wie dem Klassenzimmer, neue Welten zu erschaffen?
Martine Mairhofer: Das Bühnenbild muss für die Darsteller:innen gut bespielbar sein. Es soll für die Spieler:innen ein „Gerüst“ sein, um im Spiel Räume zu erschaffen und diese erspielten Räume wiederum zu visualisieren. Durch die abstrakte Setzung sind die Möglichkeiten zahlreich. Das Objekt wird gedreht, es wird gekippt, es kommen Elemente dazu, und wir sind nach jeder dieser Aktionen woanders. Ohne großen Aufwand entstehen neue Räume.
Jetzt im Probenprozess entdecken wir gemeinsam noch zusätzliche, neue Interaktionsmöglichkeiten mit dem Bühnenbild, die man sich eben nicht am Schreibtisch ausdenken kann. Nach meiner Konzeption ist das die Aufgabe – und vielleicht das Geschenk – an die Regie und die Spielenden: sich daran auszutoben. Und zuletzt wird das Bühnenobjekt natürlich durch das Publikum mit Bedeutung aufgeladen. Das interessiert mich am meisten: Was sehen die jungen Menschen, wie verhalten sie sich dazu?

EM: Ihr habt beide von Interaktionen und Begegnungen gesprochen. Mit der Bühne und dem Raum, zwischen Spielenden und Publikum – Publikum und Raum.
Bevor es jedoch in die Proben und dann in die Vorstellungen geht, begegnet sich das künstlerische Team. Ihr kanntet euch vor dieser Arbeit nicht, musstet also auch erstmal versuchen, einander zu verstehen. Wie war diese erste künstlerische Begegnung zwischen und für euch? Wie wichtig ist Vertrauen dabei?
VH: Vertrauen ist essenziell!
MM: Ja!
VH: Man muss dem Gegenüber und dem Prozess vertrauen. Und schnell eine gemeinsame Sprache finden. Zum Glück hat das bei uns von Anfang an gut funktioniert, dieses erste gemeinsame Nachdenken im Gespräch. Trotzdem weiß man vor Probenbeginn nie genau, wie man in der Arbeit zusammenfinden wird. Sprechen wir wirklich die gleiche Sprache? Kann ich mit Martines Raum so umgehen, wie sie es sich wünscht? Komme ich mit ihrem räumlichen Konzept so klar, dass es meinen Vorstellungen entspricht, dem Stück gerecht wird und die Spielenden unterstützt?
Einander von Anfang an einen Vertrauensvorschuss zu geben, ist entscheidend. Theater gelingt nur gemeinsam. Ideen werden stärker und vielfältiger und größer, wenn viele mitdenken, mitgestalten und zusammenarbeiten. Macht auch einfach mehr Spaß.
MM: Das tolle an der Theaterarbeit ist, dass sich der kreative Prozess auf verschiedene Positionen aufteilt: Regie, Bühne, Kostüme, Musik, etc. Man ist die jeweilige Expertin der eigenen Position und kann sich auf die Expertise der Anderen verlassen – und darauf vertrauen.
EM: Klassenzimmerstücke bringen das Theater in seiner pursten Form an junge Menschen. Hattet ihr als Jugendliche Begegnungen mit dem Theater? Wenn ja, wo und wie haben diese stattgefunden?
MM: Ich erinnere mich vor allem an Formate, die nicht unbedingt auf junge Menschen und ihre Wahrnehmungsbedürfnisse eingegangen sind. Und – bis auf das Krippenspiel – keine Möglichkeiten, aktiv in einem schulischen Kontext Theater zu spielen und selbst aktiv zu werden im Rahmen dieses Mediums.
VH: Ich bin erst spät zum Theater gekommen, nach meiner Schulzeit – nicht aus Desinteresse, sondern weil mir der Zugang lange gefehlt hat. Als Schülerin gab es für mich nur wenige Berührungspunkte mit dem Theater. Umso schöner finde ich es heute, wenn das Theater in Schulen geht und dort Begegnungen ermöglicht, die vielen sonst vielleicht verwehrt blieben. Solche ersten Erfahrungen können viel in Bewegung setzen.

© Anna CerratoEM: Was wünscht ihr euch vom Theater für junge Menschen?
VH: Fragen zu stellen und gemeinsam nachzudenken. In Kontakt treten miteinander, mit Themen, mit Figuren, mit unterschiedlichen Perspektiven. Und das nicht auf eine belehrende Art und Weise, sondern auf Augenhöhe, im besten Fall im gemeinsamen Austausch. Das fände ich ziemlich großartig. Und ich glaube, das kann das Theater auch wahnsinnig gut.
MM: Ich wünsche mir, dass das Theater bei jungen Menschen Spiellust weckt und den Mut, selbst mitzugestalten und sich den Raum dafür zu nehmen. Theatermachen heißt auch herausfinden, wie man gemeinsam denkt und fühlt.